Albert Merriman Smith (10. Februar 1913 – 13. April 1970) war ein amerikanischer Nachrichtenreporter und insbesondere als Korrespondent im Weißen Haus für United Press International sowie deren Vorgängerorganisation United Press tätig.  Er berichtete über US-Präsidenten von Franklin Delano Roosevelt bis Richard Nixon und begründete den Brauch, Pressekonferenzen von Präsidenten mit „Danke, Herr Präsident“ abzuschließen. Dies war der Titel seines 1946 erschienenen und 1948 in Wien in deutscher Übersetzung herausgegebenen Buches, als er unter Harry S. Truman, u.a. ein Jahr zuvor an der Potsdamer Konferenz teilnahm.

Albert Merriman Smith 1962.

 

Auf dem Weg nach Potsdam

Smith begann 1940 mit der Berichterstattung über das Weiße Haus. Nach dem Kriegseintritt der USA wurde er als einer der Nachrichtenreporter ausgewählt, den Präsidenten auf all seinen Reisen zu begleiten. Aus Sicherheitsgründen vereinbarten sie, ihre Berichte erst nach Abschluss der jeweiligen Reise zu veröffentlichen.

Eine Neueinführung in der Zusammensetzung der Reisegesellschaft des Präsidenten bildete es, daß ihr Publizisten angehörten. Das Kriegsende in Europa gestattet es, von den strengen Sicherheitsmaßnahmen während der früheren Konferenzen abzusehen. Der Präsident hatte bereits im Juni keine Bedenken gehabt, der Presse bekannntzugeben, daß er im nächsten Monat zu reisen gedenke. Ebenso wurde noch im Juni in London die Veröffentlichung der Meldung über den Ort der Konferenz freigegeben.
Der Präsident bestimmte, daß einige Journalisten in seine Begleitung aufgenommen werden sollten, damit das amerikanische Volk einen genauen Bericht über seine ganze Reise erhalte. Als der Präsident am 6. Juli abends Washington verließ, bestand, obwohl nichts bekanntgegeben worden war, in der Öffentlichkeit kein Zweifel über das Ziel seiner Reise. 1Smith, Merriman: Danke sehr, Herr Präsident! Notizbuch aus dem Weißen Haus, Wien 1948, S. 202 f.

Der Text aus dem von Lieutenant George M. Elsey 2https://en.wikipedia.org/wiki/George_Elsey für das Logbuch des Präsidenten zur Potsdamer Konferenz verfassten Vorwort 3Log of the President`s Trip to the Berlin Conference, (July 6, 1945 to August 7, 1945) . Written an compiled by Lieutenant William M. Rigdon, o.O. August/September 1945, S. II.wurde von Merriman als nicht der Realität entsprechend heftig kritisiert.

Was der Beamte über die Neueinführung der Teilnahme von Journalisten geschrieben hatte, zeigte seine völlige Ahnungslosigkeit. Offensichtlich hatte der junge Mann, der die Eintragungen vornahm, eine Ahnung von den Reisen Mr. Rossevelts während des Krieges.
Der Satz, daß „ein genauer Bericht über seine Reise dem amerikanischen Volk gegeben werden könnte“, ist genauso kindisch. Hätte Drew Pearson 4https://en.wikipedia.org/wiki/Drew_Pearson_(journalist) nicht am Abend nach der Abfahrt Mr. Trumans die Zensurvorschriften durchbrochen, wäre die ganze Reise über den Atlantik geheim geblieben. Pearson aber kümmerte sich nicht um die Zensur und gab im Radio bekannt, daß der Präsident auf hoher See sei und in Antwerpen landen würde. 5Smith, Merriman: a.a.O, S. 203.

Merriman Smith war sauer auf seinen Kollegen. Musste er doch nun dafür sorgen, dass die Amerikaner über die Europa-Reise ihres Präsidenten auf dem Laufenden blieben. Hinzu kamen unsinnige Vorgaben, die ihn als offizielles Mitglied der Präsidenten-Delegation finanziell getroffen hatten.

Vor der Abreise waren wir noch aufmerksam gemacht worden, daß wir uns nicht nur mit unseren Abendanzügen, sondern auch mit warmer Unterwäsche versehen sollten. Die warme Unterwäsche sollte uns vor der strengen Kälte in Berlin schützen. Es war Juli. Ich hielt mich genau an diese Empfehlung und lieh mir sogar noch zur Ergänzung meiner Ausstattung eine dicke Pelzweste von einem Matrosen der „Augusta“ aus. …
Mein Frack und mein neuer Smoking hatten eine Menge Geld gekostet und so kam ich mir recht blöd vor, als uns der Entschluß des Präsidenten bekanntgegeben wurde, von seinen Besuchen in der britischen, norwegischen und dänischen Hauptstadt abzusehen. 6Smith, Merriman: Ebenda, S. 203 f..

Am 15. Juli 1945 legte der Kreuzer „Augusta“ mit der Präsidenten-Delegation in Antwerpen an. Mit dem Auto setzten die Amerikaner die Reise nach Brüssel fort und flogen von dort nach Berlin.

Die Reisegesellschaft des Präsidenten löste sich auf dem Flugfeld von Brüssel in mehrere Gruppen auf. Byrnes und seine Berater aus dem Außenministerium reisten in dem einen Flugzeug nach Berlin. Der Präsident flog mit seinem Stab in der „Heiligen Kuh“ und für die Journalisten war ein drittes Flugzeug bestimmt.
Der Präsident landete am Flugplatz in Gatow, in der Nähe von Potsdam. Wir jedoch in Tempelhof, in Berlin.
General Vaughan 7https://en.wikipedia.org/wiki/Harry_H._Vaughan sorgte dafür, daß wir Quartiere und Fahrzeuge bekamen und vom Flugplatz abgeholt wurden. Wir waren angenehm überrascht, als uns Oberstleutnant John R. Reeding, der Leiter des Berliner Pressebüros, in ein wunderschönes altes Haus führte. Es war in Zehlendorf-West, einem Vorort von Berlin, gelegen. 8Ebenda, S. 207.

Wie er schrieb, befand sich das Haus in der „Behrensstraße“. 9Ebenda, S. 212. Laut Berliner Adressbuch könnte es sich um die „Beerenstraße“ gehandelt haben. Ein Versuch, mithilfe des Heimatvereins Zehlendorf e.V. das Haus zu lokalisieren, brachte kein Ergebnis, aber neues Wissen über die Nutzung Zehlendorfer Villen durch die amerikanischen Besatzungstruppen. In der Nähe seiner Unterkunft konnte Smith in einem Lokal essen. Es könnte sich dabei um das einstige Restaurant „Fürsteneck“, Beerenstraße/Ecke Fürstenstraße gehandelt haben.

Keine Journalisten auf der Konferenz

Albert Meeriman Smith war der wichtigste Journalist der US-amerikanischen Delegation. Dennoch wurde auch ihm der Zugang zu dem Gebiet in Neubabelsberg verwehrt, in dem die Delegation untergebracht war sowie zum Konferenzort Schloss Cecilienhof. Seine Journalistenkolleginnen und -kollegen mussten sich in einem aus Zelten bestehenden Pressecamp in der amerikanischen Besatzungszone in Berlin aufhalten. Der genaue Standort konnte bislang nicht herausgefunden werden. Vermutlich befand es sich auf der Bäkewiese in Kohlhasenbrück. Smith genoss den großen Vorzug, in einem beschlagnahmten Privathaus in Berlin-Zehlendorf zu wohnen.

Alle Informationen zur Unterbringung der Delegationen erhielten die US-Journalisten und ihre Kollegen während der Konferenz aus zweiter Hand bzw. erst nach dem Ende der Konferenz. Zu den Verhandlungsabläufen oder -inhalten gab es offizielle Presseinformationen bzw. -konferenzen. John R. Reeding leitete das Pressebüro der Amerikaner in Berlin. Charles Ross war der offizielle Pressesprecher des US-Präsidenten.

Charles Ross, 1945, auf der Potsdamer Konferenz.

Daran war nur Stalin schuld. Das muß ich dem Mann lassen: wenn er sagt, daß er bei einer Sache keine Journlaisten dabei haben will, so sind keine Journalisten dort. Er konnte nicht verhindern, daß wir Präsident Truman in die deutsche Hauptstadt begleiteten, aber er lehnte es ab, uns nach Potsdam zu lassen, wo die Konferenz der Großen Drei abgehalten wurde. 10Ebenda, S. 202.

Schon am ersten Tag stand fest, daß … nicht viele Meldungen herausschauen würden. Reeding und sein britischer Kollege hielten zweimal am Tag kurze Pressekonferenzen ab, aber sie konnten nict mehr berichten, als daß die Großen Drei und die Außenminister eine Zusammenkunft gehabt oder miteinander gespeist hätten und was dabei gegessen worden sei.
Die einzigen Nachrichten mit einigen interessanten Details kamen von den amerikanischen Journalisten. Die Briten brachten schon weniger und die Russen gaben überhaupt nichts von sich.
Sie hätten im Gegenteil ihre Kollegen am liebsten veranlaßt, auch Stillschweigen zu bewahren, aber die Amerikaner lehnten es ab, sich dieser völligen Geheimhaltung anzuschließen.
Der Präsident war mit dieser Situation nicht einverstanden, aber er konnte nichts tun, ohne Stalin ernstlich zu beleidigen.
Einige Zwischenkommuniqués hätten leicht ausgegeben werden können, ohne die notwendige Geheimhaltung der militärischen Besprechungen zu gefährden. Aber die Russen waren hartnäckig. Wenn es auf sie angekommen wäre, hätte es nur eine einzige offizielle Bekanntmachung gegeben – den Text des Schlußkommuniqués der Konferenz, als Stalin schon längst auf dem Heimweg nach Moskau war.
So konnten die Journalisten aus dem Gefolge des Präsidenten über die Konferenz der Großen Drei nur ziemlich nichtssagende, kurze Meldungen durchgeben, in denen alles Wesentliche fehlte. 11Ebenda, S. 209.

Die einzigen Personen mit journalistischem Hintergrund, die in Neubabelsberg wohnen und sich in der Nähe des Konferenzortes aufhalten durften, waren die Fotografen. Doch auch ihr Bewegungsspielraum und die Möglichkeit, exklusiv Fotos machen zu können, waren sehr stark eingeschränkt, wie aus dem Tagebuch von William Belknap hervorgeht. Sie mussten auf die Termine warten, wo sie offizielle Konferenzfotos machen durften. Die Zeit dazwischen nutzten sie für Fotos aus dem jeweiligen Delegationsareal oder aus dem Umfeld von Schloss Cecilienhof.

Es gab wenige Situationen, in denen die Journalisten zu exklusiven Informationen kamen.

Die Zensur untersagte uns am ersten Abend die Meldung, daß Stalin noch nicht angekommen sei, und so warteten wir bis zum nächsten Morgen. Anstatt das Haustelefon zu benützen, ging ich in Reedings Büro und rief von dort Ross an. Stalin war noch immer nicht angekommen. Nach kurzem Überlegen sandte ich eine Meldung durch, daß die Konferenz der Großen Drei um vierundzwanzig Stunden verschoben würde. Zur gleichen Zeit gab der Berliner Reuter-Vertreter eine Meldung heraus, in der er die Eröffnung der Konferenz bekanntgab. Er mußte später seine Meldung widerrufen. 12Ebenda, S. 208.

Am 26. Juli flog Merriman Smith mit Truman und seinen Leuten nach Frankfurt/Main zu einem Besuch des Hauptquartiers der US-Truppen in Deutschland.

General Eisenhower hielt ihm zu Ehren eine Parade ab, nach deren Abschluss im Hauptquartier ein Lunch stattfand. In dem stattlichen Haus begegnete ich dem Präsidenten in der einstigen Bibliothek. „Wie ist die Lage?“, fragte ich ihn.
Mr. Truman warf den Kopf zurück und sagte temperamentvoll, daß „sie“ – sichtlich meinte er Stalin und Churchill – Zugeständnisse machen müßten. Der Präsident kannte die Stärke seiner Position.
Der kleine Mann aus Missouri sollte überrumpelt werden, aber er machte einen Strich durch die Rechnung. Er stellte seinen Mann. Über die üblichen Wendungen in der Diplomatensprache zerbrach er sich nicht den Kopf und sagte ruhig „Memo“, wo ein geschulter Diplomat von einem „aide-memoire“ gesprochen hätte. 13Ebenda, S. 214.

Am 2. August 1945 sah Smith den Präsidenten das nächste Mal und konnte persönlich mit ihm sprechen.

Wir sahen den Präsidenten erst wieder an Bord der „Augusta“ am 2. August in Plymouth in England. Die Konferenz der Großen Drei war um Mitternacht beendet worden. Wir hatten Berlin in solcher Eile verlassen müssen, daß die Journalisten im Gefolge des Präsidenten nicht einmal das Abschlusskommuniqué abwarten konnten, das erst einige Stunden nach unserem Abflug herausgegeben wurde. 14Ebenda, S. 215.

Informationen aus zweiter Hand

Der Präsident und sein Stab richteten ein kleines Weißes Haus in Babelsberg, einer Vorstadt zwischen Berlin und Potsdam ein. Das Haus hatte früher einem deutschen Filmindustriellen gehört, der zu dieser Zeit mit einem Arbeitsbataillon in Rußland war. Das ganze Gebiet von Babelsberg-Potsdam stand mit Ausnahme der kleinen amerikanischen „Insel“, in der der Präsident wohnte, unter russischer Kontrolle. 15Ebenda, S. 207 f.

Ob diese Informationen Smith bereits bei seinem Aufenthalt in Berlin zur Verfügung standen oder erst nach der Potsdamer Konferenz ist nicht bekannt. Jedenfalls übernahm er sie ungeprüft in sein Buch. Dr. Gustav Müller-Grote (1867-1949), dem die Villa zu diesem zeitpunkt gehörte, führte seit 1905 die Grote’sche Verlagsbuchhandlung mit Sitz in Berlin. 1944 wurde die Verlagstätigkeit eingestellt. 1945 befand er sich nicht in russischer Gefangenschaft, sondern wurde mit seiner Familie aus dem Haus vertrieben und bezog außerhalb des Sperrgebiets Neubabelsberg eine Wohnung. Er starb 1949 in Potsdam und wurde auf dem Friedhof in Klein Glienicke bestattet.
Auch das von der britischen Delegation bewohnte Gebiet in Neubabelsberg stand nicht unter russischer Kontrolle.

Persönlich war der Journalist des US-Präsidenten auch nicht bei den von ihm nachfolgend beschriebenen Ereignissen zugegen.

Als Stalin Churchill besuchte, war die ganze, eine Meile lange Strecke, die sein kugelsicheres Auto zurücklegte, durch Scharen von NKWD-Agenten und mehr als fünfzig bewährte russische Scharfschützen gesichert. Am gleichen Abend gingen der Präsident, Byrnes und Leahy zu Fuß zu Churchill und waren auf dem Weg von der Villa, in der sie wohnten, zum britischen Hauptquartier von zwei Geheimpolizisten begleitet. 16Ebenda, S. 214.

Von wem er die Informationen hatte, ist nicht bekannt. Tatsache ist jedoch, dass das von den Delegationen bewohnte Gebiet in Neubabelsberg an den Außengrenzen von Angehörigen der NKWD-Truppen gesichert worden war. Das Gebiet der britischen Delegation und der amerikanischen wurde jeweils von ihren eigenen Leuten bewacht. An den Kontrollpunkten zwischen den Delegationsarealen standen gemischte Posten (britische und russische bzw. britische und amerikanische oder amerikanische und russische).

Berlin 1945 aus amerikanischer Journalisten-Sicht

Für weitergehende Forschungen über das Umfeld der Potsdamer Konferenz, insbesondere in Berlin-Zehlendorf, liefern Merriman Smith` Beschreibungen interessante Informationen. Wie eingangs mitgeteilt, wohnte er während der Konferenz in einem Privathaus in Zehlendorf-West.

Ich hatte ein großes Schlafzimmer für mich allein. Das Haus war gut möbliert.
Auf dem Tisch eines der drei Wohnzimmer im ersten Stock befand sich der wichtigste Einrichtungsgegenstand des ganzen Hauses – ein Telephonapparat, der uns direkt mit der Telephonzentrale des Weißen Hauses in Potsdam verband.
Das Haus gehörte dem Chef einer großen deutschen pharmazeutischen Firma und war von der Armee beschlagnahmt worden. Reeding teilte uns noch mit, daß wir in einem kleinen Restaurant gleich in der Nähe verpflegt würden. 17Ebenda, S. 207.

Da das überraschende Eintreffen wichtiger Nachrichten aus Potsdam nicht zu erwarten war, hatten wir sehr viel freie Zeit. Jeden Nachmittag machten wir mit Hackner Spaziergänge durch Berlin. Durch den jungen Ingenieur aus Chikago, der sehr gut russisch und deutsch sprach. lernte ich eine ganze Menge über den Krieg und über das deutsche Volk.
Auf diesen Spaziergängen suchten wir auch die Bekanntschaft eines Nazi zu machen, aber alle unsere Bemühungen führten zu nichts, wir konnten keinen finden. Jeder Deutsche, mit dem wir sprachen, fluchte auf Hitler oder lehnte wenigstens jede Verantwortung für die Taten der Nazis ab. 18Ebenda, S. 209 f.

Captain Allen Hackner stammte aus Chikago und war vor dem Krieg als Ingenieur tätig. Vom US-Pressebüro in Berlin war er Smith als Dolmetscher zugeteilt worden. Der Journalist war ihm sehr dankbar für seine Leistung als „Fremdenführer“ und Übersetzer. Er hatte jedoch ein Problem mit der Eigenart Hackners, seine Gedanken immer laut zu äußern. Und das mitunter in nicht gerade passenden Situationen. Der Captain führte Smith nicht nur durch die Stadt, sondern auch in die Kneipen.

Die Kapelle spielte schlecht und recht „Japanese Sandman“.
Ein paar Schritte von uns stritt ein russischer Hauptmann mit einem deutschen Mädchen. Er wollte gehen, sie wollte bleiben. Der Wortwechsel endete damit, daß er ihr eine Ohrfeige gab; daraufhin schloß sie sich seiner Meinung an und sie gingen aus dem Lokal.
Als nächstes Stück ließ die kleine Kapelle „Chattanooga Choo-Choo“ hören, aber sie spielte es im Marschtempo. Die Lampen brannten trüb und im Lokal roch es wie in einer gutgehenden Gymnastikschule.
Ein Fräulein in einem schäbigen weißen Pelzmantel kam zu mir an die Bar und verlangte eine Zigarette. Ich sagte ihr, sie solle verschwinden. Darauf begann sie zu krakeelen und ein Dolmetsch stürzte herbei und erklärte mir, daß sie keine Deutsche, sondern Ägypterin wäre. So war es in ganz Berlin – es gab keine Nazis und man traf kaum einen Deutschen. Aber eine Menge Araber, Ägypter und Schweizer.
Ich kam mir wie in Algier vor, als der Mixer mich fragte: „Bitte?“ „Zwei doppelte Whiskys“; bestellte ich.
„Danke“, sagte er und entschwand an das andere Ende der Bar.
Das hörte ein amerikanischer Offizier, der schon ziemlich geladen hatte, und wackelte streitsüchtig auf mich zu. „Habe ich recht gehört – Sie haben Whisky bestellt?“
„Ja.“
„Diese verdammten Krautfresser haben Whisky?“
„Natürlich. Er schaut bloß ganz anders aus.“
„Wen, zum Teufel, wollen Sie zum Narren halten?“
„Mich selbst, Herr Nachbar. Kümmern Sie sich nicht darum.“
Nach ein paar Minuten brachte der Kellner zwei kleine Gläser mit einer rosafarbenen, wässerigen und unerfreulich aussehenden Flüssigkeit, einer Art Kirschbranntwein.
Das war Berlin im Juli 1945.
Die Szene: ein ausgebombtes Nachtlokal namens Femina – das Berliner Gegenstück zum Roselandballroom. Die Mädchen kamen zum Vergnügen in die Femina tanzen und boten die Gastfreundschaft ihrer nicht sehr anziehenden Schlafzimmer für eine Tafel Schokolade, ein paar Päckchen Kaugummi oder – als ganz besonderen Glücksfall – ein Paket Camel an.
In diesem Lokal hatte das Wort „Schokolade“ die gleiche Bedeutung, die bei uns zu Hause hinter dem Satz „Komm doch zu mir und sieh dir meine Bilder an“ steht. 19Ebenda, S. 200 f.

Einen anderen anderen Einblick in die aktuelle Situation Berlins und seiner Bevölkerung bekam Smith, als er am 16. Juli 1945 Präsident Harry S. Truman bei einer Rundfahrt durch das Zentrum von Berlin begleitete.

Ich hatte Gelegenheit, mit ihm unter dem berühmten Balkon von Hitlers zerstörter Reichskanzlei zu sprechen. Mr. Truman war über das Ausmaß der Vernichtung der Berliner Innenstadt zutiefst erschüttert.
Er schaute zu dem Balkon hinauf, von dem aus Hitler die Welt in Brand setzte und deutete dann auf die Ruinen ringsum. „Da sieht man, was geschehen kann, wenn ein Mensch größenwahnsinnig wird.“
Er blickte auf die anderen Gebäude, die aus den einstmaligen stolzen Burgen des Nazismus zu kahlen, ausgebrannten Ruinen geworden waren. „Ich habe noch nie solche Zerstörungen gesehen“, sagte er zu Byrnes, der neben ihm in dem offenen Wagen saß. „Ob sie wohl etwas daraus gelernt haben?“
Als der Präsident über die Autobahn nach Babelsberg zurückfuhr, kam er an langen und traurigen Zügen von alten Männern, Frauen  und Kindern vorbei, die in schweren Bündeln die geringen Reste ihrer Habe schleppten. Es waren Menschen, die ständig auf der Suche nach Nahrung und unterkunft herumzogen, die selten einmal einem zuteil wurde.
Streckenweise war die Luft von einem gräßlichen Gestank erfüllt. Es roch nach verwesenden Leichen und den verkohlten Hausruinen. Dichte Staubwolken trieben ständig durch die Straßen. Die Leute waren schmutzig. fast nie sah man ein Lächeln. So ziemlich bei jedem Häuserblock stand eine Schlange von schweigenden, verzweifelten Menschen, die warteten, daß sie ein paar Scheiben Brot kaufen könnten. 20Ebenda, S. 208 f.

Auf der Suche nach Nazis wurden Smith und Hackner schließlich doch noch fündig. Und zwar in dem ihnen für die Dauer der Konferenz zugewiesenen Wohnquartier. Mit ihrem Stubenmädchen Gertrude, einst Sekretärin und Dolmetscherin bei der I.-G.-Farbenindustrie in Frankfurt/Main, gerieten sie in eine heftige Diskussion über die Verbrechen der Nazis. Und der Eigentümer des Hauses entpuppte sich als ein Mensch, der sich auch mit Hitler ablichten ließ. 21Siehe ebenda, S. 210-214.

Da mir der Stoff zu anderen Berichten fehlte, schrieb ich auf Grund dieser Auseinandersetzung in unserer Villa ein Interview mit Gertrude. Zu meiner Überraschung wurde es ziemlich oft abgedruckt, vor allem in England. 22Ebenda, S. 212.

Anmerkungen

  • 1
    Smith, Merriman: Danke sehr, Herr Präsident! Notizbuch aus dem Weißen Haus, Wien 1948, S. 202 f.
  • 2
    https://en.wikipedia.org/wiki/George_Elsey
  • 3
    Log of the President`s Trip to the Berlin Conference, (July 6, 1945 to August 7, 1945) . Written an compiled by Lieutenant William M. Rigdon, o.O. August/September 1945, S. II.
  • 4
    https://en.wikipedia.org/wiki/Drew_Pearson_(journalist)
  • 5
    Smith, Merriman: a.a.O, S. 203.
  • 6
    Smith, Merriman: Ebenda, S. 203 f..
  • 7
    https://en.wikipedia.org/wiki/Harry_H._Vaughan
  • 8
    Ebenda, S. 207.
  • 9
    Ebenda, S. 212.
  • 10
    Ebenda, S. 202.
  • 11
    Ebenda, S. 209.
  • 12
    Ebenda, S. 208.
  • 13
    Ebenda, S. 214.
  • 14
    Ebenda, S. 215.
  • 15
    Ebenda, S. 207 f.
  • 16
    Ebenda, S. 214.
  • 17
    Ebenda, S. 207.
  • 18
    Ebenda, S. 209 f.
  • 19
    Ebenda, S. 200 f.
  • 20
    Ebenda, S. 208 f.
  • 21
    Siehe ebenda, S. 210-214.
  • 22
    Ebenda, S. 212.

© GeschichtsManufaktur Potsdam, 25. Juni 2025 

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