80 Jahre Potsdamer Konferenz – Resümee einer vergebenen Chance
Jubiläen bieten die Möglichkeit der Besinnung auf Vergangenes, vor allem aber zum Stellen von Fragen und zur Suche nach Antworten aus der Geschichte auf aktuelle Probleme. Die vor 80 Jahren im Potsdamer Schloss Cecilienhof durchgeführte Konferenz der beiden Großmächte – Sowjetunion und USA – unter Einbindung der ehemaligen kolonialen Großmacht Großbritannien bot im Jubiläumsjahr die Chance der Auseinandersetzung mit Welt-, Macht- und Außenpolitik damals und heute.
Die Chance wurde vertan! Aus welchen Gründen auch immer.
Auf der Potsdamer Konferenz teilten die drei Siegermächte über Deutschland und seine Verbündeten nicht nur Deutschland und Österreich sowie Berlin unter sich auf. Europa insgesamt sowie andere Teile der Welt wurden in die Teilungspläne einbezogen. Premierminister Winston Churchill hatte im Mai 1945 die Initiative zur Einberufung dieser Konferenz ergriffen, weil er befürchtete, dass Großbritannien bei der Neuaufteilung nicht berücksichtigt werden könnte. Dem Wunsch seines Verbündeten konnte sich der neue US-Präsident Harry S. Truman nicht entziehen. Und Stalin wollte keinen offensichtlichen Bruch der Antihitlerkoalition riskieren, so kurz nach der mit großen Opfern errungenen Niederlage des faschistischen Deutschlands und des nicht eindeutig einzuschätzenden Verhaltens der USA und Großbritannien gegenüber der Sowjetunion und den von deutschen Politikern und Militärs entwickelten Ambitionen, sich in einem Bündnis mit den USA ihrer Verantwortung für die Kriegsgräuel zu entziehen. Auch der spanische Diktator Franco hatte den USA und Großbritannien ein Bündnis gegen das „furchtbare Russland“ angeboten
Stalin drückte der Potsdamer Konferenz seinen Stempel auf.
Sein erster Schachzug war, Truman die Leitung der Verhandlungen zwischen den Großen Drei zu übertragen. So zwang er ihn in eine aktive Rolle und sicherte sich die des scheinbar passiven Beobachters. Gegenüber Churchill hegte Stalin eine gewisse Hochachtung Doch in erster Linie für ihn als Repräsentanten der einstigen Kolonial- und europäischen Großmacht. Attlee und Bevin nahm er nur bedingt ernst. Nicht von ungefähr registrierte dies auch die britische Bevölkerung und gab Churchill eine zweite Chance als Premierminister (1951 bis 1955). Frankreichs Ambitionen, wieder als europäische Macht wahrgenommen zu werden, stießen bei den USA und Großbritannien nicht gerade auf Begeisterung. Aus Gründen des Kräfteverhältnisses wurde dem letztlich aber entsprochen.
Das Verhalten Putins in den Verhandlungen über ein Ende des Ukraine-Krieges zeigt Parallelen zu dem Stalins 1945 in Potsdam.
Die Sowjetunion und die USA trafen auf der Potsdamer Konferenz die Entscheidungen.
Großbritannien wurde in dem Glauben gelassen, mit daran beteiligt gewesen zu sein. Doch seinen Wünschen bezüglich des künftigen Aussehens Europas wurde nur in Einzelfällen entsprochen. Das Kräfteverhältnis schlug sich auch in der Größe der Besatzungszonen nieder. Die sowjetische und die amerikanische Besatzungszone waren von der Fläche und der Bevölkerungszahl fast identisch: 107.459 Quadratkilometer Fläche für die USA und 107.173 Quadratkilometer für die SU. Die Briten erhielten 97.722 und die Franzosen 40.216.
Alle anderen Länder Europas konnten nicht aktiv in die Potsdamer Beratungen eingreifen. Lediglich bei Polen und China wurde eine Ausnahme gemacht. Änderte aber nichts an den vorher schon von der Sowjetunion bezogenen Positionen.
Die USA wollten 1945 ihren Einfluss in Europa vergrößern. Wirtschaftlich und militärisch waren sie dazu in der Lage. Die Sowjetunion konnte sich dagegen nur auf ihre geopolitische Position als Europa und Asien verbindende Großmacht stützen, und auf ihre militärische Stärke. Wirtschaftlich waren sie den Amerikanern unterlegen. Die militärische Stärke ermöglichte es, einen Sicherheitskorridor entlang der Grenzen der Sowjetunion zu schaffen, in den sie die baltischen Länder, Polen, die Tschechoslowakei sowie die ehemaligen Verbündeten Deutschlands Ungarn, Rumänien und Bulgarien einband. Jugoslawien entzog sich den Ambitionen Moskaus, Albanien suchte einen eigenen Weg und Griechenland konnte nur dank massiver britischer Militärhilfe im westlichen Bündnis gehalten werden. Umfangreiche Wirtschaftshilfe und ihre militärische Stärke halfen den USA, mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der NATO ein Gegengewicht zu den Ambitionen der Sowjetunion unter Stalin zu schaffen. Die Grundlagen dafür wurden auch in den Beratungen auf der Potsdamer Konferenz gelegt.
Sowjetunion unter Druck
Stalin war sich bewusst, dass die Amerikaner trotz in den USA bestehender Sympathien für sein Land keine Freunde der Sowjetunion werden würden. Ein Bündnis von ihnen mit Großbritannien, Frankreich und den anderen Ländern Westeuropas war wahrscheinlicher, als eines mit der Sowjetunion. Hinzu kamen die zu erwartenden Forderungen aus Nordamerika für die während des Krieges mit Lend Lease, dem Pacht- und Leihgesetz, geleistete Hilfe. Sein Land sah sich nicht in der Lage, dem zu entsprechen. Zu groß waren die durch den Krieg angerichteten Schäden. Dennoch wollte er nicht auf den mit großen Opfern errungenen Platz unter den Großmächten verzichten.
Das beeinflusste auch die Entscheidung der Sowjetunion zum Eintritt in den Krieg gegen Japan. Worüber US-Militärs und -Politiker nicht erfreut waren. Hatten sie gehofft, nach der von ihnen erzwungenen Niederlage Japans auch in Asien und im pazifischen Raum zur einzigen akzeptierten Großmacht aufzusteigen. Nun mussten sie sich mit der Sowjetunion die Einflusssphären teilen, was in der Folgezeit zu erbitterten militärischen Auseinandersetzungen führte (China, Korea, Vietnam).
Afrika interessierte die USA damals nicht besonders. Hier wurde auf die „Ordnungsmacht“ Südafrika gesetzt. Süd- und Lateinamerika sowie die Karibik betrachteten sie sowieso als ihr Einflussgebiet, nachdem die bisherigen Kolonialmächte Spanier und Portugiesen zum Abzug gezwungen worden waren. Dem britischen Empire wurde der Besitz einiger kleiner Inseln in der Karibik gelassen und Frankreich geduldet, wie mit Französisch-Guayana.
Die sowjetische Delegation registrierte in den Potsdamer Beratungen, wie die einstige faschistische Achsenmacht Italien und die auf der Iberischen Halbinsel herrschenden faschistischen Regime in Spanien und Portugal von den USA und Großbritannien differenziert behandelt wurden bzw. wie im Falle Francos sogar geschützt. Italien und Spanien waren mit Truppen an dem Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion beteiligt. Weshalb sie Anspruch auf Schadenersatz für die verursachten Schäden hatte. Ihren Wünschen wurde von den westlichen Alliierten aber nicht entsprochen.
Atombombe als Machtinstrument
Die vor 1945 in den USA betriebenen Forschungen zur Kernspaltung und deren Nutzung für militärische Zwecke erfolgten unter der Vorgabe „Suche nach einem neuen Explosivstoff“. Das suggerierte bei den Beteiligten, direkt als Wissenschaftler oder indirekt als Politiker, dass dieser in einer Reihe stehen würde, wie z.B. die Erfindung des Schießpulvers oder des Dynamits. Bis zum Abwurf der Bomben über Hiroshima und Nagasaki herrschte keine Vorstellung, welche verheerenden Auswirkungen das haben würde. Auch nicht bei der Sowjetunion, die bereits in Potsdam von den USA mit den neuen Bomben unter Druck gesetzt wurde.
Die über Atomwaffen verfügenden Länder drohen auch heute noch mit deren Einsatz. Auf der Erde und im Weltall. Mit Verantwortungsbewusstsein hat das nichts zu tun. Selbst deutsche Politiker und Politikerinnen betonen, wie wichtig es sei, im „Interesse der Erhaltung des Friedens“ über Atomwaffen zu verfügen. Zwar nicht unbedingt eigene, aber auf einheimischem Gebiet stationierte. Moderne Außen- und Militärpolitik sieht anders aus. Es sind die gleichen Verhaltensmuster, die im letzten Jahrhundert zu zwei furchtbaren Weltkriegen sowie einer Vielzahl regionaler Kriege geführt hatten.
Umfassende Reform von UNO und Sicherheitsrat
80 Jahre später hat sich die Welt verändert. Manches im außenpolitischen und wirtschaftlichen Verhalten unter der Regierung Trump weist jedoch Ähnlichkeiten zu dem der US-Delegation in Potsdam auf. Auch Russland, als Nachfolger der einstigen Großmacht Sowjetunion, ist nicht bereit, seinen Platz unter den Weltmächten aufzugeben. Verhandlungspartner ist für Putin in erster Linie die US-Regierung. Unterstützung in Einzelfällen holt er sich nicht bei den Europäern. Diese sind in seiner Rangfolge hinter China, Indien und Brasilien zurückgefallen. An diesem Beziehungsgefüge wird sich in absehbarer Zeit nichts ändern.
Die USA, die Europäische Union und die NATO sehen sich einer Situation gegenüber, in der neue Kontinentalmächte Anspruch auf Mitsprache erheben. In Asien das wirtschaftlich und militärisch starke China sowie Indien, in Afrika das politisch, wirtschaftlich und militärisch weitgehend stabile Südafrika, in Südamerika Brasilien. Im Nahen Osten läuft Israel Gefahr, sich vollständig zu isolieren und als Bündnispartner der westlichen Welt auszufallen.
Immer drängender stellt sich die Aufgabe einer umfassenden Reform der Organisation der Vereinten Nationen (UNO). Sie ist ein Produkt der unmittelbaren Nachkriegszeit und des damaligen Kräfteverhältnisses und entspricht nicht mehr den sich vollziehenden Veränderungen in der Welt. Ein aus Ländern gebildeter Sicherheitsrat, die als Vetomächte wichtige Entscheidungen und Entwicklungen blockieren können, ist ein Anachronismus. Aus Repräsentanten der einzelnen Kontinente müsste er bestehen, um seiner Verantwortung für Frieden und Sicherheit gerecht werden zu können.
Dr. phil. Volker Punzel
Cottbus
Herausgeber der Internetseite „80 Jahre Potsdamer Konferenz“ und Verfasser von darauf zu dem Thema bislang veröffentlichten 30 Beiträgen. Bis zum Jahresende 2025 kommen weitere zwei hinzu. In Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen sowie Privatpersonen in den USA und Großbritannien läuft eine umfangreiche Suche nach weiteren noch nicht ausgewerteten Dokumenten.
© GeschichtsManufaktur Potsdam, 25. November 2025
Anmerkung: Der vorstehende Beitrag wurde am 27. November 2025 bei der Redaktion „Open Source“ der „Berliner Zeitung“ eingereicht. Innerhalb kurzer Zeit nach Einreichung kam die Ablehnung mit der Begründung, dass man über die Potsdamer Konferenz schon in Beiträgen einer festangestellten Mitarbeiterin berichtet habe. Das war jedoch Historie und unterschied sich inhaltlich stark von dem obigen Text, der Geschichte und aktuelle Gegenwart miteinander verknüpft.
Alle Einreichungen werden in unserer Redaktion gelesen und gründlich geprüft. Bei der Auswahl der Texte achten wir auch auf Dopplungen mit unserem redaktionellen Angebot und die Mischung der Themen. Wir entscheiden, welche Texte wir veröffentlichen und teilen Ihnen unsere Entscheidung mit.
Von einer „gründlichen Prüfung“ konnte keine Rede sein. Und es handelte sich bei dem obigen Text auch um keine “ Dopplung mit dem redaktionellen Angebot“ der Berliner Zeitung. Auch schon zuvor eingereichte Texte wurden pauschal abgelehnt, obwohl sie im redaktionellen Angebot nie vorkamen.
Historiker und „Historiker“
Wer entscheidet darüber, was an historischen Abläufen wahr ist und was nicht? In der DDR war es einfach. Wer zu den Akzeptierten und Etablierten gehören wollte, musste nur sehr genau darauf achten, was die staatstragende Partei an Wünschen äußerte und wie dies über die staatstragenden Medien auf allen Ebenen herübergebracht wurde. Der Geschichtsredakteur der „Märkischen Volksstimme“ (MV) gab bei ihm eingereichte historische Beiträge erst frei, wenn er gesehen hatte, wie diese im „Neuen Deutschland“ behandelt wurden. Doch zumindest konnte man mit ihm persönlich sprechen. Und das war wichtig, wenn ich meine und die von meinen Kolleginnen und Kollegen geschriebenen Texte in der MV veröffentlicht sehen wollte. Die Mehrzahl der Texte hatte ich durchbekommen. Aber als er Ende 1989 die bislang geübte Praxis fortsetzen wollte, musste ich gegen ihn opponieren. Aber nunmehr hatten andere Herren in der Zeitung das Sagen. Und die entschieden, was veröffentlicht werden durfte und was nicht.
Wirklich gute historische Arbeiten basieren auf einer soliden Faktenbasis und auf einer zuvor sorgfältig durchgeführten Auseinandersetzung mit bereits zu dem Thema erschienenen Publikationen und wissenschaftlichen Arbeiten, national und international. An wirklich wissenschaftlichen Einrichtungen der DDR, wie z. B. dem Institut für Allgemeine Geschichte der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, war dies geübte Praxis.
Doch eine vorangestellte Auswertung der Schriften der „Klassiker“ – Marx, Engels und Lenin – war auch Pflicht. Dies nicht beachtet zu haben, konnte zum frühzeitigen Ende der gerade begonnenen wissenschaftlichen Karriere führen. Naivität half da nicht immer, aber doch manchmal.
Marx und Engels waren schon tot und konnten sich deshalb nicht mit dem in meinem Thema behandelten Gegenstand befassen. Und Lenin hatte sich in seinen Schriften dazu nicht geäußert.
Ob sie nun tot waren oder nicht, ob sie sich nun konkret dazu geäußert hatten oder nicht: egal. Pflicht war Pflicht.
Im Wettbewerb mit ihren Kolleginnen und Kollegen im Westen Deutschlands waren die DDR-Wissenschaftler trotzdem vielfach überlegen. Auch wenn bis heute regelmäßig das Gegenteil behauptet wird.
Was sie auszeichnete, war die Akribie und die Fähigkeit, hinter die Dinge zu denken. Auch wenn ihnen nicht immer die benötigten Quellen zur Verfügung standen und die veröffentlichten wissenschaftlichen Arbeiten erst umständlich besorgt werden mussten, gelangten sie doch zu erstaunlichen Entdeckungen und Erkenntnissen. Manche Erkenntnis musste zwar so formuliert werden, dass sie nicht dem Zeitgeist widersprach. Aber die dazu gestellten Fakten zeigten der geübten Leserschaft, was sie herauslesen sollte.
Der Traum von einem Wissenschaftlerleben in einem Elfenbeinturm, in dem es sich in Ruhe forschen ließ und erstaunliche Entdeckungen gemacht werden konnten, war Historikern in der DDR oder in einem anderen Land nur möglich, wenn sie sich mit Partei und Regierung bzw. den dort Herrschenden arrangierten. Wer die Bevölkerung als Adressat und Nutznießer seiner historischen Forschung sah, hatte keine Chance. Und daran hat sich bis heute nichts verändert. Die Zustände sind so, wie sie bereits Günter de Bruyn in seinem 1978 erschienenen Roman „Märkische Forschungen“1https://de.wikipedia.org/wiki/M%C3%A4rkische_Forschungen_(Roman) beschreibt.
Doch nicht nur die Obrigkeit, die zwischen nützlichen und unnützen Wissenschaftlern unterschied bzw. unterscheidet, kann für diesen Zustand verantwortlich gemacht werden. Sie braucht dazu Handlanger. Und zwar auf allen Ebenen der Gesellschaft und in allen Bereichen. Konkurrenzangst, Neid und Missgunst, Diebstahl geistigen Eigentums, Ignoranz, Verleumdung … waren und sind die von ihnen gehandhabten Mittel, um klügere Menschen als Hindernis und als Gefahr für das eigene Ego aus dem Weg zu räumen.
Professoren gewähren wissenschaftlichem Nachwuchs vor allem dann eine Chance, wenn dieser seinem wissenschaftlichen Werk und seiner Person huldigt sowie für den Nachruhm sorgt. Wissenschaftliche Leistung als Kriterium für geistige Größe ist zweitrangig.
„Meinungsfreiheit“, zumindest im öffentlichen Raum und im gesellschaftlichen Diskurs, gilt vor allem für all jene an den Hebeln der Macht und für die von ihnen finanziell am Leben gehaltenen Personen und Organisationen. Parteipolitische Unabhängigkeit, echte Kreativität oder eine eigene Meinung sind Ausschlusskriterien für bereits zu Lebzeiten erfolgende Anerkennung.
„Denn die einen sind im Dunkeln. Und die anderen sind im Licht. Und man siehet die im Lichte. Die im Dunkeln sieht man nicht.“ Bertolt Brecht (1898 – 1956)