Ein historisches Ereignis, das nie vollständig aufgearbeitet wurde und deshalb bis heute die öffentliche Meinung so beeinflusst, wie es jeweils gewünscht wurde bzw. wird.
80 Jahre nach der vom 17. Juli bis 2. August 1945 in Potsdam tagenden Konferenz ist die Situation wieder von einem Krieg geprägt und von der Unfähigkeit aller Seiten, sich am Verhandlungstisch über ein Ende des Tötens von ukrainischen Zivilisten und Soldaten sowie von auf russischer Seite kämpfenden Truppen zu einigen.
Aber nicht nur Russland ist unfähig, das Ende eines Krieges auf dem Weg von Verhandlungen zu bewirken. Das gilt auch für seine Alliierten des Jahres 1945 – Großbritannien und USA. Weil sich die einstigen und neuen Großmächte nicht verständigen können, versinkt die Welt erneut im kriegerischen Chaos.
Was ist bei den Großmächten und den sie anführenden Personen an Wissen über die Ereignisse vom Sommer 1945 vorhanden? Was wissen sie über die Lehren, die damals die Runde machten, um vorzusorgen, dass die Völker nicht wieder in mörderischen Kriegen gegen einander gehetzt werden, wie das im Ersten Weltkrieg der Fall war und vor allem im Zweiten?
Es scheint so, als ob sie sich wieder in einer Zeit um 1910 bzw. 1936 wähnen und nicht in der Gegenwart.
Doch wie ist das möglich?
Waren Stalin, Churchill (bzw. Attlee) und Truman 1945 intellektuell weiter als Putin, der jeweilige englische Premierminister und Trump heute?
Beim Lesen der Dokumente und der Memoiren von Harry S. Truman und anderen Teilnehmern der Potsdamer Konferenz fiel auf, dass der US-Präsident und der „Führer“ der Sowjetunion, J. W. Stalin, sich gut verstanden haben müssen. In einem Schriftwechsel mit Randy Sowell, Archivar an der Harry S. Truman Library in Independence (USA), versuchte ich Näheres zu erfahren. Am 21. März 2025 schrieb ich, in englischer Übersetzung:
Sehr geehrter Mr. Sowell,
… Als ich 2020 mit meiner Recherche begann, gab ich ihr den Arbeitstitel „Potsdam und die Konferenz im Sommer 1945“. Der Fokus lag nicht auf den offiziellen Beratungen im Schloss Cecilienhof, sondern vielmehr auf der Stadt und ihren Bewohnern, den vielen Menschen, die für die Großen Drei arbeiteten, und den „kleinen“ Details und Ereignissen hinter dem offiziellen Konferenzbild.
In all meinen online veröffentlichten Texten wies ich darauf hin, dass dies nicht die Arbeit eines einzelnen Historikers sein kann. Die wahre Geschichte der Potsdamer Konferenz, ihr Verlauf, die Entstehung ihrer Ergebnisse und die Entwicklungen nach der Konferenz können nur durch internationale Zusammenarbeit ans Licht kommen. Allein in den USA sind die Dokumente und Informationen über die Konferenz so verstreut, dass eine einzelne Person keinen Zugriff darauf hat.
Die aktuelle Entwicklung bietet tatsächlich eine großartige Gelegenheit für Ihre Institution, mit Hintergrundinformationen zur offiziellen Diskussion beizutragen.
Jeffrey Franks 2022 erschienenes Buch über Harry S. Truman 1https://www.amazon.de/Trials-Harry-Truman-Extraordinary-Presidency/dp/1501102907 bietet hierfür einige sehr gute Ansätze. Ich habe ihm geschrieben, warte aber noch auf eine Antwort. Aus Franks Text klang seine Überraschung darüber heraus, dass Truman so gut mit Stalin auskam, obwohl dieser zahlreiche Verbrechen an der Bevölkerung seines Landes begangen hatte.
Was wusste Truman davon, als er Stalin offiziell und vor allem inoffiziell traf? Wenn er es wusste, wie konnte er dann so scheinbar beiläufig mit ihm sprechen? Ich glaube, dass die Stimmung zwischen Truman, Churchill und Stalin auf der Potsdamer Konferenz entspannter war als in Teheran und Jalta. Diesen Eindruck gewann ich aus allen Texten. Der Bruch in der Stimmung und im Verhältnis zwischen Truman und Churchill einerseits und Stalin andererseits kam, als Stalin sich von Truman verraten fühlte. Er vergab ihm nie die Verschwörung um den Atombombentest und den Einsatz von Atombomben in Japan.
Vor Potsdam und während des größten Teils der Konferenz herrschte die Hoffnung, dass nach dem Sieg über das faschistische Deutschland die Dinge zwischen den Staaten in Europa und der Welt friedlicher und freundlicher werden würden. Doch diese Hoffnung zerschlug sich schnell.
Und dieses Schwanken zwischen Hoffnung und Enttäuschung erleben wir noch heute. Warum dies geschehen musste und warum es geschehen konnte, muss erklärt werden. Dies wird jedoch nur möglich sein, wenn die wahre Geschichte der Potsdamer Konferenz und eine ehrliche Geschichte Deutschlands als Ganzes endlich gemeinsam geschrieben werden. …
Aufrichtig,
Dr. Volker Punzel
Am 26. März später lag mir die Antwort aus den USA vor:
Sehr geehrter Herr Dr. Punzel,
vielen Dank für Ihre E-Mail vom 21. März.
Trumans Meinung über Stalin und die Sowjetunion war vor Dezember 1941 entschieden negativ. Dies lässt sich zumindest aus seiner Aussage anlässlich des deutschen Einmarsches in sowjetisches Gebiet 1941 schließen, dass die USA entweder den Deutschen oder den Sowjets helfen sollten, je nachdem, welche Seite zu verlieren schiene, um auf beiden Seiten „so viele wie möglich zu töten“. Offenbar sah er keinen großen Unterschied zwischen Hitlers und Stalins Regime, obwohl er im Juni 1941 auch sagte, er wolle unter keinen Umständen, dass Nazi-Deutschland den Krieg gewinnt.
Als Präsident betrachtete Truman die sowjetische Regierung bereits vor der Potsdamer Konferenz mit Argwohn, obwohl die beiden Länder im Krieg gegen Deutschland Verbündete waren. Averell Harriman drängte ihn zu einem entschiedenen Vorgehen gegenüber den Sowjets, und der Präsident folgte seinem Rat. Bei einem frühen Treffen mit Außenminister Molotow hielt Truman ihm einen Vortrag über die offensichtliche Nichteinhaltung von Vereinbarungen durch sein Land. Doch wie er später zugab, empfand Truman, als sie sich zum ersten und einzigen Mal in Potsdam trafen, eine persönliche Sympathie für Stalin. In seinem Tagebuch beschrieb er Stalin als „ehrlich – aber furchtbar schlau“. Zweifellos hoffte er, dass nach dem Krieg ein friedliches und konstruktives Verhältnis zwischen beiden Nationen bewahrt werden könne. Darin irrte er sich, und später machte er Stalin für den Kalten Krieg verantwortlich.
Aufrichtig,
Randy Sowell
Das war nur eine von vielen Fragen in Verbindung mit der Potsdamer Konferenz, die mir bereits vor meinen Recherchen kamen und auf die ich, solange mir das möglich ist, Antworten suche.